„Projekt Danke“ – Einfach nur Müll

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In unserer Küche riecht es noch immer herrlich nach karamellisierten Mandeln und Zimt. Meine Haare, meine Kleidung, alles riecht nach Weihnachtsmarkt. So langsam fühle ich mich weihnachtlich und winterlich. Es ist in den letzten Tagen so kalt geworden, dass einem die Ohren stechen, wenn man vorschnell und ohne Kopfbedeckung vor die Tür geht. Der Winter und das Weihnachtsfest sind endlich bei mir angekommen. Als Student rauscht die Vorweihnachtszeit oftmals unbemerkt an einem vorbei, weil man die Nase zu häufig und zu lange in staubige Bibliotheksbücher steckt und von der besinnlichen Stimmung nicht unbedingt etwas mitbekommt.

Für das „Projekt Danke“ habe ich also eine große Fuhre gebrannte Mandeln gemacht und sie in kleine Tütchen gefüllt. An das Geschenkband, das gleichzeitig als Verschluss dient, habe ich einen kleinen Zettel gehängt. Je nach Berufsgruppe werde ich einen entsprechenden Satz darauf schreiben, damit die Menschen auch wissen, weshalb sie beschenkt werden.

„Danke, dass du Müllmann bist?“ Sissi zog die Nase kraus und überlegte. „Das klingt irgendwie abwertend. So, als wollte man die Müllmänner aufziehen und ihnen irgendwas unter die Nase reiben.“

„Meinst du?“ Mein Kugelschreiber verharrte über dem kleinen Zettel. „Aber Müllmann ist doch ein ganz normaler Beruf. Na gut, wie ist es damit: Danke, dass du dich um das kümmerst, was andere Menschen wegwerfen?“

„Nein! Bloß nicht. Das klingt, als würden Müllmänner im Dreck leben und mit schmutzigen Dingen spielen.“

Ich stieß die Luft aus. Sissi war wirklich streng. Ich beschloss, zusätzlich Mara um Rat zu fragen und griff nach meinem Handy. Sie meldete sich nach dem dritten Klingeln. „Hallo?“

„Mara? Ich brauche mal deine Hilfe. Wie würdest du dich bei einem Müllmann bedanken, wenn du ihm gebrannte Mandeln schenkst?“

Knacksendes Schweigen tröpfelte aus meinem Handy. Dann fragte sie: „Ach, für dein Projekt? Hm, vielleicht…Schön, dass es dich gibt?“

„Das ist zu unpersönlich. Nachher verstehen sie nicht, dass der Dank wirklich an ihre Berufsgruppe geht.“

„Ok…danke, dass du dich um meinen Müll kümmerst?“

Ich gab den Satz an Sissi weiter, doch diese schüttelte erneut den Kopf. „Zu abfällig.“

„Ist das Sissi?“, fragte Mara. „Die ist doch sowieso mit nichts zufrieden.“

„Was sagt sie?“, fragte Sissi. Ich zuckte mit den Schultern.

„Das Gute ist doch, dass die Straßen sauber sind“, sagte Mara nachdenklich. „Warum bedankst du dich nicht dafür?“

„Danke, dass du die Straßen sauber hältst? Das klingt nett. Danke, Mara!“

Wir verabschiedeten uns und ich legte auf. Sissi nickte langsam und sah zufrieden aus. „Das klingt zwar irgendwie immer noch abwertend, aber ist wenigstens auf die Aufgaben bezogen. Das geht. Gut, schreiben wir das. Mit was für einem Namen unterschreiben wir?“

„Gar nicht“, gab ich zurück. „Das ist an keinen Namen gebunden. Könnte also von jedem sein.“

Die zehn beschrifteten Tüten wanderten in einen Einkaufsbeutel. Sissi erklärte sich nach kurzem Zögern dazu bereit, die Mandeln mit mir zusammen zu verteilen. Es war Mülltag in unserer Stadt und das große orangefarbene Auto schlängelte sich bereits durch unsere Straße. Der Plan war, die Mandeln direkt auf die auf der Straße stehenden Mülltonnen zu legen, damit die Müllmänner sie schnell entdeckten, aber kein persönlicher Kontakt zu Stande kam. Ich wollte die Mandeln ohne Worte und ohne Blickkontakt abliefern, um ihre Reaktion ungestört beobachten zu können. Sissi und ich legten die Mandeln auf die Tonnen vor meiner Haustür und setzten uns ein paar Meter weiter auf eine Parkbank, um die Müllmänner hören und sehen zu können. Zur Tarnung schlugen wir unsere Studienbücher auf und kicherten vor uns hin.

Vor lauter Vorfreude waren wir beide so aufgekratzt wie zwei kleine Kinder vor der Bescherung. Gespannt sahen wir zu, wie das Auto der städtischen Müllabfuhr vor dem Haus zum Stehen kam und die uniformierten Arbeiter auf die Straße sprangen. Sissi prustete los.

„Pscht!“, machte ich. „Das nächste Mal darfst du sonst nicht mitkommen!“

Mein Tadel wäre vermutlich glaubwürdiger gewesen, wenn ich selbst nicht ebenfalls laut gelacht hätte. Wir bissen die Zähne zusammen und richteten unsere Aufmerksamkeit auf die Mülltonnen. Der erste Arbeiter hatte sie erreicht und stutzte. Er sah sich prüfend um und musterte uns. Als wir uns nur hinter unseren Büchern versteckten und nichts sagten, wanderte sein Blick wieder zu den Mandeltüten. Es knisterte, als er eine in seine behandschuhte Hand nahm und den Zettel las. Er lachte.

„Hey, kommt mal her! Schaut mal! Das ist für uns!“ Seine kräftige Stimme übertönte den Lärm der Arbeit und brachte seine Kollegen dazu, sich an seine Seite zu gesellen.

„Was soll das sein?“, fragte ein besonders großer Müllmann. In seiner riesigen Pranke sah die Mandeltüte klein und kläglich aus. „Für uns? Von wem?“

„Da steht nur: Danke, dass du die Straßen sauber hältst. Keine Ahnung.“

„Ist ja süß.“ Ein Arbeiter hatte die Tüte bereits aufgerissen und die Hälfte der Mandeln im Mund. „Ein bisschen zu viel Zimt.“

„Was?“, zischte Sissi erbost hinter dem Psychologiebuch. „Das ist ja unverschämt!“

„Der Zimt ist uns wirklich ein bisschen ausgerutscht“, flüsterte ich. „Hauptsache ist doch, dass sie sich freuen.“

Ein oder zwei Minuten standen die Müllmänner dicht beisammen, aßen die Mandeln und plauderten ausgelassen. Einer der Arbeiter steckte eine der Tüten in seine Tasche und sagte: „Für Rudi, der kann ja heute nicht arbeiten. Aber ich denke, das geht auch an ihn.“ Er warf seine eigene leere Plastiktüte in eine der Tonnen. „Nett. Aber…es ist doch einfach nur Müll. Also unsere Arbeit. Wir entsorgen einfach nur Müll.“

„Na ja, aber die Straßen würden wie Sau aussehen, wenn wir nicht wären. Da hat der Bäcker schon Recht. Wir müssen weitermachen, der Zeitplan.“

„Ja.“ Die Arbeiter entsorgten die leeren Tüten und steckten die restlichen Mandeln ein. Während sie die Tonnen über die Straße bewegten, huschte immer wieder ein breites Grinsen über ihre Gesichter. Ob das an den Mandeln lag oder ob sie immer mit so guter Laune ihre Arbeit verrichteten, vermochte ich nicht zu sagen. Als sie auf ihren Wagen stiegen und weiterfuhren, ließen Sissi und ich die Bücher sinken.

„Die waren undankbar“, sagte Sissi. „Das nächste Mal geben wir die Sachen persönlich ab, dann kriegen wir wenigstens ein bisschen Dank zurück.“

„Darum geht es doch aber gar nicht“, gab ich zurück. „Es ist doch gut gelaufen. Wir wurden nicht enttarnt und sie haben sich über die Mandeln gefreut. Danke, dass du mir geholfen hast.“

„Hm. Ich hätte trotzdem gern ein Danke gehört.“

„Wir waren aber heute dran, uns bei ihnen zu bedanken. Dank muss nicht automatisch in beide Richtungen fließen. Ich fand es toll.“

Sissi zog die Schultern hoch. „Na gut. Vielleicht helfe ich dir auch das nächste Mal. Ich muss jetzt ins Seminar.“

„Klar.“ Wir umarmten uns zum Abschied, Sissi packte ihre Sachen zusammen und stapfte durch den Schneematsch in Richtung Innenstadt.

Bevor ich die Haustür hinter mir ins Schloss zog, sah ich die Straße hinunter und die orange blinkenden Lampen des Autos um die Ecke biegen.

Es hatte mir gut gefallen, nicht direkt mit den Müllmännern in Kontakt zu treten, um ihnen die Mandeln zu überreichen. Mein Erscheinen hätte nur von der eigentlichen Botschaft abgelenkt. Ich wollte kein Dankeschön von ihnen hören oder sie in Verlegenheit bringen. Ich wollte nur sehen, dass die Mandeln bei ihnen ankamen und sie sich darüber freuten. Außerdem war es viel spannender, wenn sie rätseln konnten, wer ihnen die Mandeln geschenkt hatte. Und wer weiß, vielleicht begegneten sie ihren Mitmenschen für diesen Tag mit dem Hintergedanken, dass es sich bei jedem Gegenüber um den „Bäcker“ handeln könnte.

Ich räumte die Küche auf und war zufrieden. Als nächstes würde ich mir die städtischen Busfahrer vornehmen.

Über Alina

Ich bin Studentin und angehende Sterbebegleiterin. Ich habe schon immer gern besonders älteren Menschen beim Erzählen zugehört und möchte in meinem Blog berührende Lebensgeschichten sammeln, damit wir gemeinsam wieder lernen können, den Menschen um uns herum zuzuhören. Falls Ihr Fragen oder Anliegen habt, kontaktiert mich jederzeit unter pin.chen[at]live.com.

Eine Antwort »

  1. Großartig! Schön vor allem, dass der Dank auch angekommen ist, so soll es sein!

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  2. Schöne Idee, schöne Umsetzung und ein schöner warm-ums-Herz-Beitrag =)

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  3. Wie schön 🙂 Ich mag solche Erzählungen, die sind wirklich total toll und dann kommt ja noch dazu, dass ihr euch ja eigentlich für ganz viele Menschen auf dieser Erde bei diesen Männern bedanken wollt. Ich mein, viele hätten wohl zugestimmt, wenn ihr sie gefragt hättet und das ist wirklich schön. Eine sehr schöne Geste und die Müllmänner waren sichtlich davon angetan 😀

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    • Hallo Sarah, danke für deinen Kommentar. Ja, gerade die Müllmänner machen ja eine Arbeit, die direkte Auswirkungen auf unseren Alltag hat. Wenn du Lust hast, mach doch auch ein paar Mandeln, die gehen superschnell und sind mit wenig Aufwand verbunden. 😉 Welche Berufsgruppe würdest du beschenken?

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      • Mandeln sind echt was total Schönes 🙂 Ich glaube, ich würde so auf die Schnelle nachgedacht, Postboten beschenken wollen, da sie ja tagtäglich unsere Post austragen und egal, was für ein Wetter herrscht, sie müssen ja immer raus. Unsere Post kommt sonst ja nicht an 😮

  4. Aaah, endlich 🙂 Ich war schon ganz gespannt drauf, wie es gelaufen ist. Die Umsetzung der Idee finde ich sehr gelungen und freue mich auf weitere Berichte 🙂

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    • Jaaaa, die Hausarbeit hat mich in einen apathischen Studenten-Tiefschlaf fallen lassen. Ich hätte eben besser planen sollen. 🙂
      Ab jetzt schreib ich wieder öfter. Ich find das immer bewundernswert, wie oft du dich hinsetzt, um zu bloggen. Manchmal komm ich mit dem Lesen gar nicht hinterher. 😉

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      • Ich freue mich natürlich, wenn du wieder öfter schreibst, wollte dich aber auf keinen Fall stressen oder dazu drängen. Ich selbst blogge wohl vor allem mit anderem Ziel als du. Für mich ist mein Blog eine Möglichkeit, mit meiner Depression zurecht zu kommen und mein Leben irgendwie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Ich freue mich über jeden Klick, jeden Kommentar unheimlich, schreibe aber trotzdem vor allem für mich selbst. Da kommt dann automatisch viel zusammen, weil ich zwar aktuell viel ungenutzte Zeit aber eben auch viel innere Arbeit an der Depression habe… da muss man als Leser auch gar nicht hinterher kommen können 😉

      • Ich hab das auch nicht so verstanden, dass du mich hetzen willst. 🙂
        Und dass du dein Blog in erster Linie für dich schreibst, war mir bewusst. Aber ich finde dich als Mensch interessant und lese deine Beiträge gerne, deshalb würde ich gern „hinterher kommen“. 😉

  5. Macht wirklich Lust aufs Nachmachen :D! Darf ich Deine Idee „klauen“? 😉

    Und ich schließe mich Amy an und freue mich auf die weitere Entwicklung!

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  6. einfach großartig! Danke!

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